Es wäre eine Überraschung für den Markt, wenn die EZB im Juni die Zinsen nicht senken würde. Doch bevor die endgültige Entscheidung nächste Woche fällt, steht noch ein entscheidender Test an: die Veröffentlichung der deutschen Inflationsdaten. Der Markt hofft auf eine weitere Verlangsamung im Mai auf ein neues Mehrjahrestief. Vor allem geht es jedoch um den Zinspfad in der zweiten Jahreshälfte.
Zinsen fast doppelt so hoch wie Inflation
Die Inflationsdaten für Deutschland im Mai, die am Mittwoch um 14 Uhr veröffentlicht werden, stellen das Narrativ der Zinshoffnung auf die Probe. Die Märkte erwarten eine letzte Bestätigung für die erste Zinssenkung der EZB, die am 6. Juni bekannt gegeben werden könnte. Seit Ende 2022 ist die Inflation rückläufig, jedoch wurde dieser Trend im April gestoppt. Der Verbraucherpreisindex verharrte zum zweiten Mal in Folge bei 2,2 Prozent – dem niedrigsten Stand seit fast drei Jahren und leicht über dem Zielwert von 2 Prozent. Dies stellt eine der niedrigsten Zahlen weltweit unter den großen Volkswirtschaften dar, ausgenommen China und die Schweiz. Zudem zeigen die deutschen PMI-Daten für Mai, dass der Inflationsdruck nachlässt. Hohe Zinsen, die fast doppelt so hoch sind wie die aktuelle Inflationsrate, belasten das Wachstum und bremsen Investitionen. Eine Zinssenkung könnte die dringend benötigte Erleichterung bringen und die wirtschaftliche Aktivität wieder ankurbeln.
Deutschland: Stagnation und Hoffnung auf Zinssenkungen
In den letzten zwei Jahren war die deutsche Wirtschaft eher eine Bremse als ein Motor für Europa. Für 2024 droht Deutschland als Konjunktur-Schlusslicht unter den G7-Industriestaaten abgestempelt zu werden. Insbesondere die zinssensitive und stark exportabhängige Industrie leidet und hat sich vom Dienstleistungssektor abgekoppelt. Während das verarbeitende Gewerbe tief in der Rezession steckt, wächst der Dienstleistungssektor. Deutschland braucht dringend Zinssenkungen. Je länger die EZB zögert, desto größer wird der wirtschaftliche Schaden. Niedrigere Zinsen würden Investitionen wieder lohnenswerter machen und den Konsum anziehen lassen. Eine solche Wiederbelebung ist entscheidend, um nicht nur den Rückstand aufzuholen, sondern auch, um zur alten Stärke zurückzukehren.
Schlüssel zur Stabilität und Wachstum in Europa
Als größte Volkswirtschaft der EU prägt Deutschland die Stabilität und das Wachstum Europas. Die enge wirtschaftliche Verflechtung zeigt sich in den Handelsbeziehungen: Unter den zehn umsatzstärksten Partnern Deutschlands sind acht Länder aus Europa. Die Niederlande und Frankreich rangieren auf Platz drei und vier. Außerdem ist Frankreich nach den USA der zweitgrößte Exportmarkt für Deutschland. Ein wirtschaftlicher Stillstand Deutschlands beeinflusst auch die europäischen Nachbarn negativ. Doch es gibt Hoffnung: Ab der zweiten Jahreshälfte könnten Deutschland und Frankreich wieder in den Wachstumsmodus wechseln, was einen potenziellen Dominoeffekt auslösen könnte. Zusammen repräsentieren sie ein BIP von rund 7 Billionen Euro, rund die Hälfte der Wirtschaftsleistung der gesamten EU.
Die vorsichtige Politik der EZB
Der Markt sollte nicht übermütig werden und die erste Zinssenkung nicht überschätzen. Bereits nach dieser könnten wir eine längere Phase der Unsicherheit erleben, da die vollen Auswirkungen der restriktiven Geldpolitik in den Daten noch nicht zu sehen sind. Die EZB verfolgt daher eine datenabhängige Strategie, um flexibel zu bleiben. Wahrscheinlich wird sie vorsichtig vorgehen und eher kleine Anpassungen vornehmen, anstatt überstürzt zu handeln. Eine zu lockere Geldpolitik könnte eine zweite Inflationswelle auslösen, was die Notenbank unbedingt verhindern will. Ein hartnäckige Inflation würde es der EZB erschweren, das richtige Gleichgewicht zu finden, und könnte sogar weitere Zinssenkungen auf das Jahr 2025 verschieben.
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